Den Termin für Familie und Nachhaltigkeit, den ich für das Familienbündnis Bayreuth besuchen wollte, habe ich verpasst. Stattdessen habe ich winzige Stückchen Erbrochenes vom Boden geklaubt und unsere Matratze mit Essigwasser abgeschrubbt, während mein Partner die Luftmatratze aufblies. Unser Bett war in dieser Nacht nur noch zur Hälfte benutzbar. In dieser Hälfte schlief ich mit unserer Tochter, die sich, wie so oft bei 4-Jährigen, am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern konnte, dass sie die Nacht zuvor krank war. Sie wunderte sich am Morgen nur darüber, in einem Bett ohne Laken aufzuwachen. Und freute sich auf einen Tag zuhause mit Papa.
Mit Nachhaltigkeit und Familie kenne ich mich aber sowieso aus. Das denke ich zumindest. Als ich schwanger war – damals noch in den USA – kamen Freunde und Familie zu unserer Babyshower mit wiederverwendbaren Windeln, Babytüchern aus Stoff und – mein ganz besonderes Highlight! – einem Gerät, das die Letzteren vorwärmt und feucht hält, bepackt. Wir hatten uns das so gewünscht: Die Windeln sind teuer in der Erstausstattung und wir, damals noch Promotionsstudierende, konnten uns auch mit dieser Unterstützung nur zwölf Stoffwindeln leisten. Empfohlen werden pro Kind vierundzwanzig. In den nächsten Jahren hieß das für uns jeden Tag mindestens eine Ladung Windeln waschen – und die mussten natürlich jeweils zweimal gewaschen werden.
Auch wenn die Windeln schnell nicht mehr so farbenfroh aussahen und rasch, auch nach dem Waschen, einen ziemlich üblen Geruch entwickelten (auch hier: Essig. Jede Menge Essig!) habe ich es nie bereut, dass wir uns damals für Stoffwindeln entschieden haben. Mal abgesehen davon, dass sie wirklich schön aussahen, gaben sie uns auch ein Gefühl, dass wir etwas dafür tun konnten, dass unsere Tochter eine bessere Zukunft haben könnte. Heute braucht unsere Tochter keine Windeln mehr. Aber wir verzichten aus diesem Grund jetzt auf ein Auto, was in den USA unmöglich und selbst in Bayreuth ziemlich schwierig ist.
Ich weiß aber auch, dass diese persönlichen Entscheidungen nicht jeder Familie möglich sind. Ich kann jede Mutter und jeden Vater verstehen, die die zusätzliche Belastung, die mit Stoffwindeln, Fahrradanhängern und selbstgekochtem Baby-Brei einherkommen, nicht leisten können oder wollen. Außerdem: Diese persönlichen Entscheidungen reichen nicht aus. Wir brauchen politische Entscheidungen, die es uns Eltern leichter machen, gemeinsam eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder zu schaffen.
Deutschlandweit gehen Kinder und Jugendliche seit Jahren dafür auf die Straße. Sie kleben sich mit Sekundenkleber an den Asphalt, um gegen die Verschwendung von Lebensmitteln – auch eine Frage der Nachhaltigkeit – zu protestieren. Unsere Tochter war bei ihrer ersten Fridays for Future Demonstration zwei Jahre alt. Unsere Nachbarin war mit ihren Kindern dabei. Sie kamen aus Kalifornien, wo sie innerhalb weniger Jahre zwei Mal ihr Zuhause durch Waldbrände verloren hatten.
Wenn ich darüber nachdenke, wie ich meine Tochter erziehen möchte, frage ich mich deswegen auch, wie ich ihr beibringen kann, dass Regeln wichtig sind und sie schützen. Und gleichzeitig, dass sie, wenn sich nicht bald etwas ändern wird, Regeln brechen werden muss. Ich weiß nicht genau, wie wir diese Gratwanderung gehen können. Aber ich weiß, dass sie nötig ist, im momentanen politischen Klima, das Jugendliche kriminalisiert, die für ihre Zukunft kämpfen.
Am Morgen nachdem unsere Tochter sich übergeben musste, hatte ich meinen ersten Arbeitstag an einer neuen Schule. Ich muss dafür Auto fahren, es geht nicht anders, es ist zu weit. Meine Hände riechen den ganzen Tag nach Essig. Am Abend stelle ich fest, dass ich es genieße, die Zeit im Auto, ohne Familie, eine Stunde hin, eine Stunde zurück, nur für mich. Das Bayreuther Car Sharing bietet übrigens auch ein Elektro-Auto an.
Eva Hoffmann