In unserer Straße ist ein Streit ausgebrochen. Es begann damit, dass eine Autofahrerin viel zu schnell an unserer Nachbarstochter vorbeigefahren ist. Das Kind spielte auf der Straße. Die Autofahrerin hat sie gesehen. Aber sie hat vermutlich gedacht, dass das Kind auf der Straße nichts zu suchen habe. Und dass es ihr Recht sei, so schnell zu fahren. Unsere Straße ist keine offizielle Spielstraße.
Das Schild, dass ich am nächsten Tag an der Straßenlaterne gegenüber angebracht habe, hat für Aufsehen unter den Kindern unserer Straße gesorgt. Ob „Achtung, spielende Kinder!“ bedeute, dass die Autofahrer sich vor den Kindern fürchten sollen, wollten sie wissen. Deswegen ist ihnen auch gleich aufgefallen, dass das Schild zwei Tage später verschwunden war. Ich weiß bis heute nicht, wer es entfernt hat.
Als nächstes knallten die Türen in unserem Haus. Unser Nachbar beobachtete die Kinder, wie sie ein Parkschild auf dem Parkplatz herauszogen. Er schrie sie vom Fenster aus an, das bleiben zu lassen und drohte mit der Polizei. Unsere Tochter war da nicht dabei. Das Parkschild, das die Kinder herauszogen, war an unserem Parkplatz angebracht. Um ehrlich zu sein, interessieren wir uns nicht besonders für das Schild und ob es da ist oder nicht. Es war schon vorher locker. Und als ich die Kinder darauf ansprach, meinten sie, sie wollten es wieder reinstecken. Das ging aber nicht und als der Nachbar sie anschrie, hätten sie Angst bekommen und seien weggelaufen.
Ich möchte gerne denken, dass es um einen Konflikt zwischen Menschen mit und Menschen ohne Kinder geht, die sich ihren Lebensraum teilen müssen. Auch wenn ich mir eine Gesellschaft wünsche, in der Kinder von allen gerne gesehen werden und in der sie als unserer aller Zukunft wertgeschätzt und geschützt werden, verstehe ich, dass Familien ohne Kinder andere Bedürfnisse haben als Familien mit Kinder.
Aber ich befürchte, dass es bei dem Streit in unserer Straße auch um etwas anderes geht: Alle Kinder haben dunkle Haare und die meisten auch dunklere Haut als unsere anderen Nachbarn. Obwohl alle Kinder gut Deutsch sprechen, sprechen sie auch noch eine andere Sprache, die ihrer Eltern und Großeltern. Ihre Eltern sprechen kaum Deutsch und wenn, dann haben sie einen starken Akzent. Ihre Großeltern wohnen in Ländern, die weit entfernt sind.
Nur so kann ich es mir erklären, dass unser Nachbar schreit, die Eltern der Kinder säßen nur vorm Fernseher und passten nicht auf ihre Kinder auf (was nicht stimmt, das weiß ich genau). Und dass meine Tochter, die auch einen sogenannten Migrationshintergrund hat, den man ihr aber nicht ansieht, Schokolade zugesteckt bekommt, während die anderen Kinder angekeift werden.
Ich weiß nicht, wie wir den Streit in unserer Straße beilegen können. Meine Idee ist, ein Straßenfest zu veranstalten. Ich weiß nicht, ob jemand kommt, aber ich werde da sein. Die Kinder wahrscheinlich auch. Sie haben letztens mit Straßenkreide unseren Parkplatz bemalt. Dafür haben sie sich auf den Boden gelegt und die Umrisse ihrer Körper nachgezeichnet. Entstanden sind kunterbunte Kreideversionen ihrer selbst. Darüber haben sie ein Wort geschrieben: Freunde.
Eva Hoffmann