Diesen Sommer sind meine Familie und ich in Ecuador. Es ist das dritte Mal seit der Geburt unserer Tochter, dass wir als Familie hierher reisen. Unsere Tochter ist jetzt fünf.
Ich weiß, dass es ein großes Privileg ist, dass sie – dass wir – das machen können. Auch wenn es wie ein Klischee klingt – Reisen bildet. Es öffnet den Horizont und die Herzen. Fast immer hinterlassen die Reisen, die wir unternehmen, Spuren. Und oft genug verändern sie nicht nur, wer wir sind, sondern auch, wer wir werden. Reisen stillt Sehnsüchte, aber erweckt auch neue. So sehr ich mir wünschen würde, dass alle Kinder diese Erfahrungen machen können, weiß ich, dass wir es in erster Linie unseren Pässen und unseren Bankkonten zu verdanken haben, dass wir sie unserem Kind bieten können.
Trotzdem habe ich mir vor der Reise Sorgen gemacht. Jetzt, wo unsere Tochter alt genug ist, zu wissen und zu sagen, was sie mag und was nicht, wie wird sie auf das fremde Essen reagieren? Wie auf die unbekannte Sprache und die ungewohnten Traditionen, die dicken Spinnen an der Wand unserer Blockhütte im Wald? Viele dieser Sorgen waren unbegründet. Unsere Tochter isst die hiesigen Gerichte aus Reis und Bohnen mit demselben Enthusiasmus, mit dem sie das gleiche Essen zu Hause ablehnen würde. Sie ist fest entschlossen, Spanisch zu lernen. Und ist stolz darauf, die Einzige aus ihrer Kindergartengruppe zu sein, die sich nicht vor Spinnen fürchtet.
Die Kinder in Ecuador haben von vielen Dingen weniger, aber von manchen mehr als viele Kinder in Deutschland. Auch das klingt wie ein Klischee, aber sie haben oft mehr Familie, mehr Natur, mehr Tiere und mehr Kinder um sich als die meisten Kinder in Deutschland. Trotzdem glaube ich, dass es das ist, was sich die Eltern hier in dem kleinen Dorf in den Bergen, wo wir unsere Ferien verbringen, am meisten für ihre Kinder wünschen würden: Die Möglichkeit, zu gehen und nur wiederzukommen, wenn sie das möchten.
Dass sie diese Freiheit nicht haben, ist eine der großen Ungerechtigkeiten, die von der kolonialen Vergangenheit bis in die Gegenwart reichen und über die wir in Europa immer noch nicht gerne reden. Nächste Woche reisen wir weiter an die Küste. Unsere Tochter wünscht sich, dass ihre neue Freundin mitkommen kann. Aber das geht nicht. Stattdessen haben wir viele Geschenke für die Kinder hier mitgebracht. Vielleicht auch, um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen.
Die Schule im Dorf feiert dieses Wochenende ihr Jubiläum. Wir sind eingeladen. Es gibt traditionelle Tänze und Spiele, Essen und Musik. Meine Tochter überlegt seit Tagen, was sie an dem Tag anziehen möchte. Der Schule schenken wir eine Weltkarte für Kinder.
Eva Hoffmann