„Es tut mir leid, ich sehe keinen Herzschlag mehr“. Das sind wohl die schlimmsten Worte, die werdenden Eltern gesagt werden können. Wir mussten sie im Mai 2020 hören und wollen euch heute von dieser furchtbaren Erfahrung, aber auch von Möglichkeiten, Trost, Wut, Verzweiflung und neuen Anfängen erzählen.
Eigentlich sollte es für uns nur eine Routinekontrolle sein, aber der Arzttermin, auf den wir voller Freude hingefiebert hatten, sollte sich für uns in den Anfang vom Ende oder das Ende eines Anfangs verwandeln, denn das Herz unseres Babys schlug nicht mehr. Eine Welle stummer Verzweiflung, Wut und Trauer platzte völlig ungebeten über uns herein. Recht empathie- und emotionslos wurde der Ultraschall beendet. Das sollte es dann gewesen sein. Auch wenn wir „erst“ in der 12. Woche waren, so war das für uns aber unser Kind. Wir haben es geliebt, als es nur zwei Striche auf einem Test waren und uns wurde kein „unbedeutender Zellhaufen“ genommen, sondern unser Baby: rosig, atmend, im Arm seiner Mama. So zumindest haben wir es uns vorgestellt! Um aus dem Buch „ Stille Geburten sind auch Geburten und Sterneneltern sind auch Eltern“ zu zitieren „[…]misst sich Liebe nicht in Wochen“. (BoD-Books on Demand Verlag 2021.) Es ist unbedeutend, wann ein Baby gegangen ist, denn es hinterlässt eine riesige Leere. Genau hier muss in unserer Gesellschaft und im Umgang mit Sterneneltern endlich ein Umdenken stattfinden. Es braucht mehr Halt, mehr Liebe und mehr Platz für unsere Kinder und deren Eltern, Geschwister, Familien.
Uns wurde rasch, wie das in Deutschland auch die übliche Vorgehensweise ist, zu einer
Ausschabung im Krankenhaus geraten. Das ging uns aber viel zu schnell, hatten wir doch noch gar nicht recht realisieren können, wie uns geschieht und so entschieden wir uns für einen natürlicheren Weg: eine kleine Geburt. Kleine Geburt, so nennt man Fehlgeburten, die in Würde ohne medizinischen Eingriff stattfinden dürfen, denn auch eine Fehlgeburt stellt für den Körper nichts anderes dar, als eine natürliche Geburt, nur eben in klein. Meist raten Ärzte Frauen davon ab und oft kursiert auch noch das Gerücht, dass verstorbene Kind vergiftet die Mutter im Mutterleib. Aber liebe Frauen, denen euch ein solcher Schicksalsschlag widerfährt, ihr habt eine Wahl! Eine Infektionsgefahr ist sehr gering und kann mit ärztlicher Kontrolle gut überwacht werden. Auch steht euch, das wissen leider nur wenige, auch bei einer kleinen Geburt eine Hebamme zu!
Unter ganz normalen Geburtswehen (nach bereits 2 Kindern an der Hand können wir definitiv sagen, dass es keinen Unterschied macht, ob man in der 40. oder 12. Woche gebärt) machte sich unser Kind auf den Weg. Leider kam es doch unerwartet zu einem enormen unkontrollierbaren Blutverlust, weshalb unsere selbstbestimmte Geburt doch im RTW auf dem Weg ins Krankenhaus, einigen Cytotectabletten und einer Ausschabung nach 3 Tagen endete. Unser Kind wurde uns einfach genommen, gesehen haben wir es nie! Nichts für schwache Nerven, aber unter 500g werden Kinder in Deutschland nicht beigesetzt. Sie wandern als medizinischer Abfall in den Krankenhausmüll.
Dank Corona, durfte der Papa, der sowieso die ganze Zeit außen vor war und emotional bis heute unbeachtet blieb, nicht ins Krankenhaus kommen, was wir als Familie zusätzlich sehr schwierig empfunden haben. Aufgrund der wortkargen und wenig einfühlsamen Behandlung seitens des medizinischen Personals haben wir uns auch entschieden 4 Stunden nach der OP in Vollnarkose das Krankenhaus auf eigenen Wunsch zu verlassen. Das Köfferchen und den Schmerz durfte der Patient selbst tragen.
Im Nachhinein hätte wir einiges anders gemacht, uns anders vorbereitet. Und genau deshalb wollen wir euch aus unseren Erfahrungen ein paar Ideen und Vorschläge geben, die euch in dieser schlimmen Situation vielleicht helfen wenn ihr selbst betroffen seid, oder die euch helfen, wenn ihr jemandem zur Seite stehen wollt, den dies betrifft.
Geburt oder Ausschabung:
Beides hat seine Berechtigung und seine Vor- und Nachteile. Manche Frauen ertragen den Gedanken des toten Kindes nicht in sich, andere wünschen sich Zeit zum Verarbeiten und Verabschieden. Wichtig ist: IHR entscheidet! Euer Weg ist der richtige. Lasst euch nicht zu schnell verunsichern oder gar zu einer überstürzten Entscheidung drängen. Bei jeder Geburt heißt es „es geht los, wenn das Kind das Startsignal gibt“. Das gilt auch für Fehlgeburten. Diese können mehrere Wochen auf sich warten lassen. Es braucht Zeit, bis man bereit ist, los zulassen und das darf auch so sein. Man wirft keinen Stein ins Wasser, man lässt einen Lebenswunsch ziehen.
Hebamme:
Euch steht IMMER eine Hebamme zu. Nehmt euch diese Unterstützung auch. Sie hilft euch euren Weg gemeinsam mit euch zu gehen.
Kleine Geburt:
Möchtet ihr euer Kind selbst und ohne medizinische Eingriffe zur Welt bringen solltet ihr euch folgendes Besorgen:
- Binden, da die Blutung mehrere Wochen andauern und in der Intensität schwanken kann.
- Handtücher
- Wärmflaschen (Die Wärme kann euch bei den Schmerzen gut helfen.)
- Ein Sieb, in dem ihr euer Kind zum Beispiel im Bad auffangen könnt. (Es kann sonst passieren, dass ihr das Baby während des Toilettengangs verliert.)
- Eine kleine Schachtel, in der ihr euer Kind beerdigen könnt.
Erlaubt ist hier, was euch gut tut.
Andenken:
Euch bleibt nur eine sehr begrenzte Zeit mit eurem Kind auf dieser Erde und auch wenn ihr momentan noch alles verdrängen und vergessen wollt, empfiehlt es sich Erinnerungen zu schaffen. Leider bekommt ihr diese Gelegenheit nicht wieder. Macht Fotos, gerade bei späteren Verlusten sind das die einzigen Bilder, die ihr je haben werdet. Packt sie zur Not weit weg, aber habt sie, falls ihr euch irgendwann entscheidet, sie sehen zu wollen. Bewahrt euch die gekauften Söckchen und Strampler, den Mutterpass und die Ultraschallbilder und alles, was ihr sonst so habt, auf.
Standesamt:
Ihr könnt euer Kind, ganz egal in welcher Woche, beim Standesamt anmelden. Alles, was ihr dazu braucht, ist ein Nachweis (zum Beispiel Mutterpass). Gern könnt ihr, falls es noch unklar war, nach eurem Gefühl ein Geschlecht und natürlich einen Namen bestimmten. Wir gaben unserer Tochter den Namen Sora, der so viel wie „Sonnenaufgang“ bedeutet.
Hilfen:
Es gibt einige Organisationen, die euch unterstützen wie „Sternenzauber und Frühchenwunder e.V.“. Hier bekommt ihr Trost, ein offenes Ohr und ein kleines Päckchen mit liebevollen, in Handarbeit hergestellten Geschenken für euer Baby und auch an Geschwisterkinder wird gedacht.
Was sage ich und was sage ich nicht:
Das Thema Fehlgeburt und Sterneneltern ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema. Hört ihr euch jedoch einmal in eurem Bekanntenkreis um, werdet ihr sicher feststellen, dass es viel mehr Frauen und Familien betrifft als man erwartet. Die richtige Worte für Betroffene zu finden ist hier nicht immer leicht. Oft meint man es so gut und möchte helfen, aber bitte lasst folgende Sätze einfach sein.
„Du bist noch jung, du kannst noch so viele Kinder haben.“ Ja, kann ich. Ich kann aber auch noch 10 mal heiraten und doch würde mir niemand die Trauer um meinen Partner absprechen, sollte ihm etwas passieren.
„Das war ja noch nicht wirklich was.“ Wie schon erwähnt ist es völlig egal WANN es passiert. Es war immer etwas, vor allem war es geliebt.
„Stell dich nicht so an.“ Wie sehr jemanden ein solches Erlebnis seelisch und körperlich trifft entscheidet niemand anderes für ihn und kann ein Außenstehender gar nicht beurteilen.
Was für uns besonders schmerzlich war, war auch die Distanz, die einige Freunde plötzlich zu uns hielten. Vermutlich, weil sie nicht recht mit uns umzugehen wussten. Hier wäre es schöner, wenn man einfach sagt: „Ich habe keine Worte des Trostes. Ich weiß nicht, was ich zu euch sagen soll und fühle mich selbst überfordert.“ Das ist okay, wir wissen es doch auch nicht. Sagt ruhig nichts, aber seid einfach da. Gemeinsam weinen, gemeinsam lachen, alles ist okay, was einem Stärke und Mitgefühl vermittelt. Aber auch Ablenkung kann manchmal hilfreich sein. Wir hatten zum Beispiel auch viele schwangere Freunde und wollten trotzdem auf dem Laufenden bleiben. Klar tat es manchmal weh zu sehen, was andere haben und wir verloren haben, aber mensch, das sind doch unsere Freunde. Wir haben uns trotzdem von Herzen über deren Babyneuigkeiten und Meilensteine gefreut.
Literatur:
Wer zum Thema Fehlgeburt und unsere persönliche Geschichte noch etwas ausführlicher
nachlesen möchte, der findet unsere und einige andere bewegende Erzählungen, Kommentare, Informationen und mehr im Buch „Stille Geburten sind auch Geburten und Sterneneltern sind auch Eltern“ von Corinna Hansen-Krewer. Ein sehr lesenswertes Stück Erinnerung und Aufklärungsarbeit.
Wir haben unseren Verlust als Familie verarbeitet, viel darüber miteinander und mit unseren beiden großen Kindern gesprochen und sind dadurch näher zusammen gewachsen. Unsere Tochter Sora hat einen festen Platz in unseren Herzen erhalten. Besonders unsere 8-jährige Tochter spricht viel über sie. Wir hatten jedoch auch ganz großes Glück. Als unser Sternenkind in den Himmel ging hat es uns einen Regenbogen geschickt. Dieses Regenbogenkind, so nennt man ein Kind, welches nach einer Fehlgeburt geboren wird, ist unser Sohn. Er hat sich schon kurz nach der Tragödie in unser Leben gestohlen und füllt einen kleinen Teil der zurückgelassenen Leere mit Freude und Liebe.
Familie Trautmann